Eine Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn

Wie lebt es sich in einer "Zwei Kulturen - Ehe"? Wie sind die Russen? Wie sieht der Alltag aus und vieles mehr...

Eine Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn

Beitragvon detlevwalther (Detlev Cr.) » 27. Oktober 2010, 15:05

Die Russen geben Entfernungen in Zeitzonen oder in Eisenbahnstunden an. Beispielsweise von Moskau bis Perm fährt man 25 Stunden, oder 2 Zeitzonen, bis Wladiwostok ist man anderthalb Wochen unterwegs, das sind 8 Zeitzonen. Von Perm nach Jekaterinburg sind es nur 8 Stunden und es ist die gleiche Zeitzone. Für russische Verhältnisse also ganz in der Nähe.

Meine Frau stammt aus Perm, eine Kusine ihrer weit verstreuten Familie lebt am Baikal, eine andere in Wladiwostok, ein gerade verstorbener Onkel lebte in Hamburg und eine Kusine wohnt am Schwarzen Meer. Das sind die Eckpunkte eines Vielecks, in dem noch viele Tanten, Onkel, Kusinen, Neffen und Nichten in Moskau, St. Petersburg, in Chita, Irkutzk und Wladiwostok leben. Das Telefonbuch meiner Frau ist eine Sehenswürdigkeit.

Wenn sich Russen zu einem Familienfest treffen, dann sitzen sie oft eine Woche im Zug, für eine Feier, die gerade mal einen Tag dauert. Man trifft sich oft, mindestens einmal jedes Jahr zum Gedenken der Verstorbenen, zum Besuch der Friedhöfe. Die Russen sind Familienmenschen.

In 2007 reiste ich mit meiner Frau von Perm nach Jekaterinburg, nach russischen Vorstellungen ein Katzensprung.

Wir sitzen in der riesigen Wartehalle des Bahnhofs, warten auf den Zug nach Jekaterinburg. Der Bahnhof ist so richtig schön sowjetisch nostalgisch. Er wurde in den dreißiger Jahren erbaut und ist wunderbar mit Kronleuchtern und bunten folkloristischen Malereien an den Stuckdecken ausgestattet, ähnlich den Metrostationen in Moskau.

An einer Wand der Wartehalle hängen zwei überdimensionale Anzeigetafeln, die jedem europäischen Großflughafen zur Ehre gereichten. Die rechte Tafel zeigt die Zeiten für die Bahnsteige rechts, die linke Anzeigetafel die der linken. Das sollte man nicht zu wörtlich nehmen, denn es kommt oft vor, dass ein rechts angezeigter Zug links abfährt und umgekehrt. Der Russe weiß so etwas, ich hatte Probleme damit.

Beeindruckend sind die angezeigten Endziele der Anzeigetafeln. Da liest man Namen wie Wladiwostok, Peking, Seoul, oder Astana in Kasachstan, oder Moskau und Warschau. Zu vielen der angezeigten Ziele ist man nicht Tage, sondern Wochen unterwegs. Die angegebenen Zeiten entsprechen der Zeitzone von Moskau.

Von Essen bis nach Berlin fahre ich so lange, wie von einem Ende Moskaus bis zum anderen. Nicht mit der Metro, die schafft das in zwei Stunden. Aber mit dem Auto ist man Tage unterwegs. Na ja, das ist übertrieben, aber man sollte sicherheitshalber eine längere Verschnaufpause auf dem Roten Platz einplanen.

23 Uhr, unser Zug ist eingelaufen. Der Zug hat nur Schlafwagenabteile, in Russland beinahe Standard. Auf kurzen Strecken, ein oder zwei Stunden, sitzt man, auf langen Strecken schläft man. Wenn man nicht schläft, isst man, oder man trinkt. Ich will jetzt nicht die bekannte Leier anfangen, alle Russen wären Alkoholiker. Das ist nicht so. Ich kenne genügend Russen, die keinen Tropfen trinken. Aber Eisenbahnfahrten in Russland sind extrem langweilig. Von Moskau bis Wladiwostok? Das geht nicht ohne Wodka.

Wir gehen zu unserem Waggon. Beim Einstieg werden unsere Fahrkarten und Pässe kontrolliert. Der Terrorismus hat Russland nicht ausgespart, die Kontrollen sind sehr gründlich. Wir steigen ein und werden zu unserem Abteil geleitet. Wirklich geleitet, die Mühe macht man sich bei der russischen Eisenbahn.

Der ganze Zug hat das Flair der dreißiger Jahre und ist blitzsauber. In unserem Zug sind die Sitze und Betten der Coupes mit grünem Samt bezogen, Mahagoniholz an den Wänden, unter dem Fenster haben wir einen kleinen Mahagonitisch, kunstvoll geschnörkelte Messinghaken an den Wänden. Ein paar antik gestaltete Leselampen runden das Bild ab. Auch ein Vierer-Coupe ist so ausgestattet, das ist russischer Standard. Die Züge sind sehr komfortabel.

Aber, das muss gesagt werden, im Vergleich zum Flugzeug ist die russische Eisenbahn verhältnismäßig teuer.

Wir richten uns ein, beziehen die Betten mit weißen Laken. Tee wird serviert. Tee kann man vierundzwanzig Stunden über bestellen, niemand vom Personal wird etwas dagegen haben.

Von Perm bis Jekaterinburg sind es rund 600 km. Der Zug fährt sehr langsam und am nächsten Morgen gegen 8 Uhr erreichen wir Jekaterinburg. Es ist eine Nachtfahrt, ich habe nicht viel von der Landschaft gesehen.

Der Bahnhof von Jekaterinburg ist noch bombastischer als der von Perm. Er stammt auch aus den dreißiger Jahren, ist aber in noch besserem Zustand. Das gilt für ganz Jekaterinburg, für die Straßen und den öffentlichen Nahverkehr. Ein Grund dafür ist sicher, dass der frühere Präsident Jelzin aus Jekaterinburg stammt. Er hat gut für seine Heimatstadt gesorgt.

Wir fahren am gleichen Nachmittag zurück nach Perm und ich bewundere die Landschaft. Viel ist nicht zu sehen, weite endlose Wälder, Birken – Birken – Birken, zur Abwechselung mal Tannen, einzelne kleine Dörfer. An einigen Dörfern hält der Zug, ich sehe Fördertürme der Bergwerke. Wir durchqueren die Rohstoffreserven Russlands.

Der Zug hält ein paar Mal, Minenarbeiter steigen zu. Ab und zu sehe ich Überbleibsel aus sowjetischen Zeiten, Hammer und Sichel aus Beton, ein großes Lenin-Standbild. So ganz sind die politischen Veränderungen in den Regionen weiter weg von Moskau noch nicht angekommen. Die Russen sind Pragmatiker, sagen sich – warten wir mal ab, was noch so alles kommt. Man weiß ja nie, vielleicht brauchen wir den Lenin und sein Standbild noch einmal. Oder Hammer und Sichel.

Auf längeren Reisen sollte man den Kontakt zu den russischen Mitreisenden suchen. Das ist sehr einfach, Russen sind sehr kontaktfreudig. Vor der Sprache braucht man keine Angst zu haben, viele Russen sprechen etwas Englisch und die Älteren sprechen häufig auch etwas Deutsch. Also zehn bis zwanzig Wörter Russisch, die hat man schnell gelernt und Zeit genug hat man auch, vermischt mit Deutsch und Englisch gewürzt mit etwas Wodka – so kann man auch die endlose Fahrt von Moskau bis Wladiwostok überstehen. Oder man sucht sich einen Schachspieler, da kommt man sogar ohne Sprachkenntnisse aus.

Ich war oft in Russland, das erste Mal 1988 in Moskau. In all den Jahren habe ich es nie erlebt, dass ein Russe mir ablehnend gegenüber getreten wäre. Natürlich spricht man über den Krieg, beinahe jede Familie hatte im letzten Weltkrieg Opfer zu beklagen. Die überwiegende Mehrheit der Russen zeigt aber eine Toleranz, die uns Westeuropäern oft abgeht.

Abends gegen 22 Uhr erreichen wir Perm.

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Eine alte Dampflock vor dem Bahnhof in Jekaterinburg.

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Decke der Wartehalle des Bahnhofs von Jekaterinburg

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Überbleibsel aus der Sowjetzeit

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Einsames Dorf auf dem Weg von Jekaterinburg nach Perm. In der Nähe ist vermutlich eine Mine.
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detlevwalther (Detlev Cr.)
 
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Re: Eine Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn

Beitragvon alexander000 (Alexander H.) » 22. Juni 2011, 21:53

Hallo !

Sehr schöne Bilder, weiter so.

Alexander
alexander000 (Alexander H.)
 
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