Dass russische Frauen ein spezielles Verhältnis zu Blumen, Pflanzen aller Art, Katzen und Hunden haben, wusste ich. Aber meine Galina setzt allem die Krone auf.
In den Zeiten, als ich alleine lebte, musste ich nicht über Pflanzenpflege nachdenken - es waren keine Pflanzen da. Das hatte den großen Vorteil, dass ich wegfahren konnte, ohne mir den Kopf zu zerbrechen, wer denn nun in meiner Abwesenheit die Pflanzen mit Wasser versorgt, oder ob dieser oder jener Dünger im Sommer oder besser im Herbst verwendet werden sollte. Mir reichten ein paar bunte Bilder an der Wand und eine bunte Glasvase sieht auch ohne Blumen gut aus. Wenn ich denn tatsächlich mal den Hang zu Pflanzen hatte, was selten genug vorkam, dann konnte ich ja den Garten der Nachbarin bewundern, die im örtlichen Klub der ‚Gardener’s’ Ehrenvorsitzende ist. Sie versuchte mich anfangs in Gespräche über Sonnenstand und Pflanzenwuchs, Dünger oder die Auswirkungen des pinkelnden Hundes von gegenüber auf ihre Rosen zu verwickeln. Sie hat schnell gemerkt, dass ich nicht der geeignete Gesprächspartner bin.
Das hat sich mit Galinas Einzug in mein Leben und meine Wohnung radikal geändert.
Erstes sichtbares Zeichen war an unserer Hauskatze zu entdecken, die normalerweise im Keller wohnt. Die Katze ist 18 Jahre alt, für eine Katze steinalt. Sie machte früher etwa zweimal täglich die Runde durch das Haus, holte sich ihre Milch und Wurst ab. Ich wohne im 2. Stock, weshalb die Katze altersbedingt höchstens 2 Mal pro Woche bei mir mal eine Inspektion des Kühlschrankes vornahm. Oder auch, weil ich von dem was Katzen mögen, genau so wenig Ahnung habe, wie von dem, was Pflanzen mögen.
Etwa seit der zweiten Woche nach Galinas Einzug kommt die Katze dreimal täglich und liegt inzwischen angenagelt auf meinem Sofaplatz, wenn ich nach Hause komme.
Aber die Blumen. Galina brachte sich vom ersten Ausflug auf den Markt Pflanzen mit. Das war ganz zu Anfang, als ich noch nicht wusste, wie gefährlich solche Ausflüge werden können. Die Pflanzen waren zwar beeindrucken bunt, gesund und blühend auf dem Markt, wurden dann aber bald zu Pflegefällen auf unserer Fensterbank. Es ging in den Winter rein und wohl alle hatten ihren ersten Frost auf dem Weg zum Markt abbekommen. Beginnend in der Küche sammelte sich bald eine größere Anzahl von Behältern gefüllt mit Wasser an: Joghurtbecher, Plastikschachteln, die früher Hähnchenteile oder Ähnliches enthalten hatten, Verpackungsreste. Alle Behälter wurden zur entsprechenden Größe zusammen geschnitten und mit Erde gefüllt. In jeden dieser Behälter wurde dann eine der erkrankten Pflanzen, oder auch Teile von ihr gepflanzt.
Anfangs habe ich schon mal nachgefragt, was denn mit diesem oder jenem Abfall werden solle, ich sei gerade auf dem Weg zur Mülltonne. In der Regel bekam ich die Antwort: Das ist ein Experiment. Seit ich keine Antworten mehr sondern nur noch vernichtende Blicke erntete, habe ich mir solche blöden Fragen abgewöhnt.
Auf der Anrichte, bisher lagen da ein paar CDs von Sinatra und Ella Fitzgerald rum, standen bald Marmeladengläser und Senftöpfe, alle mit Wasser gefüllt, in jedem Glas ein Stängel oder ein Blatt, in der Hoffnung, es könnten sich Wurzeln bilden. Unter dem Fenster auf dem Boden wurde ein langer Blumenkasten etabliert.
Inzwischen ist bei uns jede Fensterbank, jedes Regal, die Anrichte sowieso, mit irgendwelchen Töpfen zugestellt. Ein paar bunte Gläser, die mir früher ohne Wasser ganz gut gefielen, sind inzwischen ebenfalls mit Wasser und irgendwelchen Stängeln und Pflanzenteilen gefüllt.
Auf dem Weg in die Stadt, oder wohin auch immer, suche ich mir inzwischen Ausweichrouten, um nicht an Blumengeschäften oder Gärtnereien vorbei zu kommen. Das hilft mir aber nicht viel, Galina kennt inzwischen die Wege.
Ein Hoch auf die Flatrate der Telekom! Nicht wenige der Stunden dauernden Gespräche zwischen Deutschland und Perm drehen sich um botanisch-medizinische Probleme unserer erkrankten Grünpflanzen.
Unsere Nachbarin, die Ehrenvorsitzende der ‚Gardener’s’, brauchte zur Etablierung einer innigen Freundschaft zu Galina einen Tag. Wenn ich heute nach Hause komme, stehen die Beiden bei Regen oder Sonnenschein im Garten und fachsimpeln. Macht nichts, die Katze ist ja bei mir.
Vor einigen Tagen komme ich vom Flur in das Wohnzimmer und höre Galina mit irgendwem sehr zärtlich reden. Komisch, denke ich, ist Besuch da? Steht Galina am Fensterbrett und redet auf besagte sehr zärtliche Weise – nein, nicht mit mir – mit einer Pflanze. Ich bin wieder raus gegangen, wollte die Beiden nicht stören.