Als der Liebe Gott in Kooperation mit Sony und Kodak die Digitalfotografie erfunden hat, hat er mit großer Wahrscheinlichkeit an die russischen Frauen im Ausland gedacht, mit Sicherheit aber an meine Galina.
Ich bin wirklich kein Fotomuffel, aber in letzter Zeit wusste ich nicht mehr, wen ich fotografieren sollte. Das hat sich grundsätzlich geändert!
Eigentlich fing es ganz harmlos an. Ich wollte nach Perm fahren, eigentlich nur um zu Heiraten. Aber ich fand, es sei an der Zeit und doch eine passende Gelegenheit, mir eine dieser modernen Digitalkameras zuzulegen. Grundsätzlich hielt ich nicht viel von so einem Leichtgewicht, wie viel schöner ist doch so eine kiloschwere Nikon, nach Möglichkeit mit Stativ! Da weiß man, was man hat, spürt bei jedem Schritt das Gewicht in die Hüften knallen.
In Perm dann zur Hochzeit habe ich über Fotos nicht nachgedacht, da wurde auch ohne mein Zutun geblitzt und fotografiert was das Zeug hielt. Nach der Hochzeit viel mir die Kamera wieder ein und ich habe Galina die Funktionen erklärt und war damit die Kamera los, gab jegliches Verfügungsrecht über das Gerät ab.
Und so ging es dann weiter. Noch in Perm gingen wir an der Kama spazieren. An die Kamera hatte ich schon gar nicht mehr gedacht, bis Galina sie plötzlich aus der Tasche zog.
Kannst du mich mal fotografieren? Nein besser von dort wegen der Sonne, oder besser doch von da, da ist so ein schöner Busch als Hintergrund. Folgsam fotografierte ich aus jeder möglichen und unmöglichen Perspektive. Galina immer mit drauf. Ach, mach noch ein Foto, ich hatte eben die Augen zu.
Wir kamen in den Wald. Sind das aber schöne Blumen, sind die aber schön gelb, nein dahinten ist ein roter Busch. Ich fotografierte folgsam.
Ein wesentlicher Teil unserer Flitterwochen, die ja nur ein paar Tage dauerten, ist minutiös von der Kamera festgehalten. Ich selbst bin nur auf einem Bild, aber das war ein Versehen, als ich einem Hund nachrannte. Gemeint war der Hund.
Ich bin dann alleine nach Deutschland zurück, ohne Galina, die auf ihr Visum wartete und ohne Kamera. Dann kam die Familienzusammenführung und auch die Kamera kam wieder zurück.
Seit Ende September ist Galina hier in Deutschland, und mit ihr die Kamera. Die Kamera begleitet sie überall hin. In die Schule zum Integrationskurs, zum Einkauf bei Aldi, in der S-Bahn – egal wo, die Kamera ist dabei. Das Wort vom fliegenden Reporter gewinnt für mich eine ganz neue Bedeutung.
Düsseldorf Hofgarten. Es war zwar gerade erst Weihnachten vorbei, aber der Frühling machte einen kurzen Besuch. Im Hofgarten laufen ein paar ziemlich aggressive Schwäne rum, die sind lammfromm, solange man sie füttert, aber Fußgänger ohne Futter sind ihnen unsympathisch. Ganz besonders haben sie etwas gegen Fotografen ohne Futter!
Hier entstanden eigentlich meine schönsten Fotos: Eine rückwärts wegstolpernde Galina verfolgt von drei vorwärts rennenden wild zischenden Schwänen. Da Galina sich nicht traute, den Schwänen Vorhaltungen zu machen, musste ich mir die anhören. Ich war doch nur der Fotograf! Aber zugegeben – ich hatte gelacht.
Das wichtigste nach jeder Fotozession folgt dann zu Hause. Beinahe jeden Abend werden die Fotos auf Galina Laptop übertragen. Und dann kommt das eigentlich Spannende. Die Fotos des Tages werden gesichtet, gelegentlich verändert, mit Sicherheit komprimiert und über ganz Russland verteilt.
Nun ist das Internet ja noch nicht so richtig in Russland angekommen, nicht so weit verbreitet. Es fehlt noch an Geschwindigkeit und alle 3 Megabyte bricht die Verbindung ab. Und ganz billig ist es auch nicht. Die Fotos werden also erst an Relaisstationen verteilt, ich weiß von zwei in Perm, Vetter Igor’s Laptop und der Bürorechner von Kusine Galina, eine andere steht bei Kusine Katja am Baikalsee, eine weitere in Moskau – ich bin sicher, ich kenne nur ein Bruchteil, denn Galina’s Familie ist weit verzweigt. Wenn ich meine Familie hier in Deutschland aufzähle, bin ich schnell durch. Galina’s Familie? Da fange ich gar nicht erst an. Galinas privates Telefonbuch ist ein Monster!
Aber alle haben ein Anrecht auf die Bilder. Bruder Gena wohnt auf dem Land, da, wo man sich freut, wenn das Licht brennt, das einzige Telefon ist ein Handy, was aber nur zweimal pro Woche Empfang hat, ich weiß nicht warum. Mit Internet hat man es da nicht, das ist Teufelszeug. Wenn Bruder und Schwägerin meine Galina im Hofgarten zu Düsseldorf verfolgt von Schwänen sehen wollen, dann fahren sie nach Perm. Hier hat Igor die Bilder auf seinem Laptop, Mama Katja veranstaltet ein großes Essen und da werden die Bilder gezeigt. Da ist dann auch Slava Kalaschnikow mit Frau und mehreren hübschen Töchtern, und Galina und Alexej unsere Trauzeugen, und der kleine Micha und was sonst noch so an Familie in Perm und Umgebung wohnt.
Da in kurzen Abständen neue Serien von Bildern nach Russland übertragen werden, veranstaltet Mutter Katja in entsprechend kurzen Abständen große Essen.
Ende Januar waren wir einige Tage in Rom. Anders als in Deutschland, wo die Uniformen der Polizei ja eher zweckmäßigen Charakter haben, liebt man in Italien und besonders in Rom das Theatralische. Die Polizisten z.B., die sonntags neben der Spanischen Treppe aufmarschieren, oft zu Pferde, sind nach meiner Ansicht eher eine Folkloretruppe, gedacht und gekleidet für die Touristen: Lange schwarze Umhänge mit roten Kanten, Reitstiefel, Schirmmützen mit Goldlitzen, überall Goldtroddeln und Säbel an der Seite.
Die hatten nur auf Galina gewartet, so kam es mir jedenfalls vor. Galina sieht die Truppe, sagt zu mir im Weggehen mit ihrem süßesten Augenaufschlag: Machst Du bitte ein Foto von mir? Und steuert zielbewusst auf die Truppe zu. Die Polizisten waren ziemlich groß, deutlich über 180cm jedenfalls, 5 an der Zahl, auf dem Bild sind leider nur 2, Galina ziemlich klein, 165cm mit ihren höchsten Absätzen. Sie verschwand fast zwischen den Uniformen. Dann hat sie denen was erzählt, deutete mehrmals in meine Richtung, in welcher Sprache? Keine Ahnung, vermutlich irgendwas zwischen russisch/deutsch/englisch, unser hauseigenes Esperanto. Aber die Polizisten lachten, nahmen Aufstellung, Galina dazwischen, zu allem Überfluss auch noch salutierend, so wie die sowjetischen Parteioberen bei Paraden auf dem Roten Platz mit nur angedeutetem Gruß, und ich machte Fotos.
Am nächsten Tag waren wir im Vatikan mit seiner berühmten Schweizer Garde. Die Uniformen, die haben natürlich was, das Mittelalter lässt grüßen. Nur leider – Schweizer sind keine Italiener, eher etwas spröde, oder Galina kam mit ihrem Sprachkauderwelsch nicht an. Jedenfalls wollten die Schweizer keine Fotos mit einer Touristin aus Russland. Ein paar Fotos habe ich doch gemacht, aber es war eine magere Ausbeute.
Zurück in Deutschland, man kann es sich denken, wurde alles wieder über Russland verstreut.
Nun ist der Fotoversand keine Einbahnstraße, wenn auch in sehr viel kleinerer Menge kommen auch viele Fotos aus Russland zu Galina. Mama Katja im Schnee, Bruder Gena mit dem Hund Grom, große Schneeberge im Dorf, Igor mit Freundin im Wald.
In den letzten Tagen dann kam ich dahinter, sehr spät muss ich zu meiner Schande gestehe. Damit hält Galina ihr Heimweh im Griff und wahrscheinlich auch das ihrer direkten Angehörigen. Begriffen habe ich das erst, als sie vor einigen Tagen mit ziemlich feuchten Augen vor ihrem Laptop saß.
Gestern Abend jedenfalls war die Welt wieder in Ordnung. Sie war oben im Schlafzimmer alleine mit ihrem Mandarinenbäumchen. Eigentlich wollte sie im September ihren eigenen Baum aus Perm mitbringen. Aber ich hatte sie davon überzeugen können, dass das Bäumchen wohl kaum den Transport überstehen würde, besser bei ihrer Mutter aufgehoben sei. So war dann folgerichtig ihre fast erste Anschaffung hier ein Mandarinenbäumchen. Jedenfalls unterhielt sie sich gestern wieder mit dem Baum, erzählte im vermutlich eine Gute Nacht Geschichte.
Ich habe mir abgewöhnt, darüber zu lachen. Das ist eben Galina.
Ich verrate hier mal ein Geheimnis. Galina hat eine entsetzliche Höhenangst. Hier drückt sie sich in der Sixtinischen Kapelle ängstlich an die Wand und das ist auch der Moment, wo ich davon erfahre. Man sieht es ihr an!